Österreichs Klimt-Paradoxon
in: Die Presse, 24.6.2020, #22.308, S.30, und online auf https://www.diepresse.com/5829867/osterreichs-klimt-paradoxon?from=rss.
Dass die österreichische Kunstgeschichte, vor allem die Wiener Moderne, zu wenig erforscht würde, wie der Albertina-Direktor beklagt, können wir Studierende nicht nachvollziehen. Es braucht keine explizit Österreich gewidmete Professur.
Das Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien vernachlässige die österreichische Kunstgeschichte, im Speziellen Klimt und die Wiener Moderne.“ Mit dieser These eröffnet Almuth Spiegler ihren Artikel „Klimt nicht nur ausstellen, auch erforschen!“ („Die Presse“ vom 8. Juni 2020), der das Lehr- und Forschungsprogramm des Instituts für Kunstgeschichte der Universität Wien diskutiert.
Wir, Contemporary Matters, eine Studierendeninitiative, schätzen es sehr, dass diese Themen nun öffentlich aufgegriffen werden. Gleichzeitig möchten wir betonen, dass in der an den Artikel anknüpfenden Diskussion eine zentrale Stimme nicht zu Wort kommt – jene der Studierenden und künftigen Kulturschaffenden. In diesem Sinne möchten wir gern unsere Perspektive des Klimt-Paradoxes darlegen.
Ein Paradox erkennen wir nicht primär in der Aussage, dass „die ganze Welt Wien um 1900 feiert“, während das Wiener Institut für Kunstgeschichte diese Epoche „stiefmütterlich behandle“, sondern in der Logik, dass der Wiener Moderne eine globale Bedeutung zugeschrieben wird, die dennoch eine spezifische nationale Forschung erfordere. Die Bedeutung der „österreichischen Kunstgeschichte“ an der Bekanntheit eines Klimt zu messen – wenn auch nur symbolisch – scheint uns das eigentliche Paradox zu sein.
Wir möchten natürlich nicht behaupten, dass das Forschungsgebiet der österreichischen Kunstgeschichte im frühen 20. Jahrhundert nicht relevant sei.
Im Gegenteil, wir wollen uns dafür einsetzen, dass diese komplexe Epoche weiterhin unter allen Vorzeichen gelehrt wird. Nicht das Frühwerk eines Klimt, sondern die Analyse der verwobenen, teils widersprüchlichen sozioökonomischen Umstände, in denen Künstler und Künstlerinnen der Wiener Moderne während der pluralistischen Donaumonarchie tätig waren, verstehen wir im Sinne eines kritischen Regionalismus als Aufgabe der kunsthistorischen Lehre. Oder über Klimts soziales Netzwerk nachzudenken, zu dem auch weibliche, oftmals jüdische Künstler wie beispielsweise Bronchia Koller gehörten, die aber nach dem Anschluss an Nazideutschland aus der Wiener Geschichte gelöscht wurden. Wir stellen uns daher dezidiert gegen ein Verständnis von kunsthistorischer Forschung im Dienste der Institutionslandschaft, des Kunstmarkts, oder – wie im Fall Klimt und Wien um 1900 – des Tourismus.
Nationale Kunst(-geschichte)? Unzeitgemäß!
Ungeachtet dieser Problematik möchten wir klarstellen, dass die scheinbare Leerstelle in der Erforschung und Lehre der Wiener Moderne und der österreichischen Kunstgeschichte sowie der enorme Ergänzungsbedarf, wie Albertina-Direktor Schröder ihn nennt, von uns als Studierende nicht nachvollzogen werden kann.
Dem anscheinend zu kurz kommenden Klimt wurden, anders als im Artikel angeführt, in den letzten Jahren sehr wohl Lehrveranstaltungen gewidmet, unter anderem mit dem Titel „Gustav Klimt und die österreichische Kunst um 1900“. Zudem gibt es in Wien im Gegensatz zu anderen europäischen Instituten verpflichtende Exkursionen in Wien und im Inland. Auf diesem Programm stehen die Schatzkammer, das Kunsthistorische Museum sowie Reisen nach Salzburg und Tirol. Über ein Drittel (!) der Dissertationen am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien der vergangenen fünf Jahre widmet sich der österreichischen Kunstgeschichte ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Allein im vergangenen Jahr behandelten 24 der 70 Abschlussarbeiten die österreichische Kulturlandschaft. Bei den laufenden Dissertationen ist der Schnitt mit 18 von 49 Arbeiten sogar noch höher.
Die Anzahl und Dichte an Abschlussarbeiten, die sich mit „österreichischer“ Kunst, Künstlern, Künstlerinnen und Sammlungen beschäftigen, macht deutlich, dass es keine explizit Österreich gewidmete Professur braucht, um deren Inhalte abzudecken. Weiters ist die Tatsache, dass sich das Ausmaß der Forschung der österreichischen Kunstgeschichte am Institut nicht in dieser Zahl widerspiegeln kann, ein weiteres Zeichen für das unzeitgemäße Konzept einer nationalen Kunst(-geschichte). Beispielhaft wäre hier auch der Restitutionsstreit um Klimts Porträt von Adele Bloch-Bauer: Woran sollte Provenienzforschung gemessen werden? Orientiert sich eine österreichische Kunstgeschichte an den heutigen Staatsgrenzen? Was bedeutet das für transnationale Künstler- und Künstlerinnenbewegungen? Genauso wie sich die geopolitische Landschaft Österreichs verändert, so verändern sich auch deren Zugehörigkeiten.
Kultur richtet sich nicht nach Staatsgrenzen
Die Forderung der Lehre einer „österreichischen Kunstgeschichte“ entspricht also nicht den tatsächlichen Methoden des Felds. Die Orientierung an Modellen zeitlicher und geopolitischer Kategorisierung ist veraltet. Auch der Blick auf andere Universitäten im europäischen Raum zeigt, dass es keine vergleichbare Professur gibt. Eine Auseinandersetzung mit den jeweils „landeseigenen“ Künstlern und ihrer Kunst wird dadurch aber nicht verwehrt. Und gerade das Institut für Kunstgeschichte an der Universität Wien versucht sich zunehmend mit inter- und transdisziplinär verorteter Forschung einen Namen zu machen.
Der Sorge des Albertina-Direktors, dass „sich niemand um unsere [sic] Kunstgeschichte kümmert, die Deutschen, die Franzosen, die Amerikaner betreiben die jeweils eigene“ – begegnen wir mit großem Unverständnis. Wir wollen die Frage in den Raum stellen, warum der Aufruf nach einer Auseinandersetzung mit der Wiener Moderne an eine dezidiert österreichische Lehre und Forschung gestellt wird, wenn doch die „ganze Welt“ mit Wien um 1900 beschäftigt sei. Steht die Legitimität zur Erforschung der österreichischen Kunstgeschichte nur österreichischen Forschern undForscherinnen zu? Wie verhält sich dies in Bezug zur Forschung islamischer, ostasiatischer und weiterer nicht europäischer Kunstgeschichte, die hauptsächlich im Globalen Norden betrieben wird?
Sicher kein falsch verstandener Internationalismus
Eine Re-Etablierung von nationalen Kategorien kann nicht die Lösung für eine Intensivierung der Auseinandersetzung mit „österreichischer Kultur“ sein und lässt sich umso weniger mit den lauter werdenden Stimmen der Studierenden vereinbaren, die eine verstärkte Auseinandersetzung mit globalen Themen und Kunstgeschichten im Plural fordern.
Diese Forderung folgt keinem falsch verstandenen Internationalismus. Es ist eine Kritik an einer eurozentrischen Geschichtsschreibung, welche in der heutigen Zeit nicht mehr vertretbar ist. Stattdessen braucht es eine regionale Kunstgeschichte, die sich kritisch mit lokalen und globalen Zusammenhängen auseinandersetzt. Diese regionale Kunstgeschichte muss selbstreflexiv sein. Sie sollte sich nicht als Aufbereitungsbecken des Handels verstehen oder sich bei möglichst gewinnbringenden Kunstwerken und Nachlässen anschmeicheln.