Wörtern folgen Steine. Wenn sich Narren selbst ein Denkmal bauen
in: Zeitgenossin, 02.2020, S. 30-31
Der öffentliche Raum ist ein Spiegel der Gesellschaft die ihn produziert. Politische Agenden treffen auf konsumorientierte Grundbedürfnisse, Demos blockieren den Verkehr, Weihnachtsdekorationen zersetzen historische Gebäude und mittendrin scheint nichts unsichtbarer als Denkmäler. Vielerorts sind diese Erinnerungsstätten nicht mehr als ein Orientierungspunkt im Stadtbild, ein Rastplatz für Passant*innen oder ein Instragrammotiv. Erst Kontroversen und Kritik verleihen ihnen kurze Momente der Sichtbarkeit, bevor sie wieder in der Stadttopografie verschwinden. Soll Gedenken nicht eigentlich ein diskursiver Prozess sein? Möchte man im öffentlichen Raum solche Diskurse führen, muss man laut sein, in Bewegung bleiben und die Straßen genauso wie sozialen Netzwerke bespielen. Wir erinnern uns an das obskure Gedenken an die Türkenbelagerung(sic!) letztes Jahr. Denn gerade die Identitären waren – bevor sie letztes Jahr einen Dämpfer in ihrer Öffentlichkeitswahrnehmung hinnehmen mussten – kreativer und medienwirksamer als man ihnen zugestehen möchte, indem sie die Strategien der Aufmerksamkeitserregung der 1968er im öffentlichen Raum kontinuierlich adaptierten.
Von einer Präsenz auf sozialen Netzwerken kann die seit 2018 in Stein manifestierte Geschichtsrevision der freiheitlichen Kulturpolitik nur träumen. Visavis des Hauptgebäudes der Universität Wien, auf vier Quadratmetern Privatgrund und hinter parkenden Autos versteckt, sitzt auf “Trümmern” das in Bronze gegossene Aufleben alter formalistischer Frauenbilder. Initiiert von dem von der FPÖ gegründeten Cajetan-Felder-Institut und aufgestellt auf der Mölker Bastei, auf einem von Siegmund Kahlbacher gestifteten Grünstreifen, wurde die Skulptur vor zwei Jahren feierlich in Anwesenheit von FPÖ-Politikern und Vertretern des rechten Flügels der katholischen Kirche, durch den damaligen Vizekanzler HC Strache enthüllt. Eigentlich vom Künstler Magnus Angermeier als Statue der “Susanna im Bade” für ein nicht realisiertes Brunnenprojekt vor dem Altenheim in Leonding bei Linz konzipiert, versucht die Plastik heute an die Leistungen und Leiden der österreichischen Trümmerfrauen zu erinnern. Die Trümmerfrauen sind eine historisch umstrittener Nachkriegsmythos. Mit dem Begriff sollen jene Frauen beschrieben werden, die scheinbar selbstaufopfernd Schutt und Trümmern beseitigten. Dass ein Teil dieser Beteiligten glühende Nationalsozialistinnen waren, die nach dem Krieg zwangsverpflichtet wurden die Kriegsschäden zu beseitigen, wird verschwiegen. Es passt zu diesen historischen Verdrehungen, dass das für die Heroisierung gewählte Motiv der “Susanna im Bade” ein kunsthistorisches Sinnbild für den sexualisierenden männlichen Blick und patriarchale Gewalt ist.
Der zivile Aufschrei gegen diese konkrete Plastik hielt nicht lange an und für Vandalismus – wie es etwa in den 90er Jahren bei den Protesten gegen den Siegfriedskopf im gegenüberliegenden Hauptgebäude der Universität der Fall war – scheint sie zu unspektakulär. Die Stadt Wien verweigerte allerdings dem Denkmal einen öffentlichen Platz und distanzierte sich davon. Und so steht es nun auf “öffentlichem” Privatgrund. Seither blickt Susanna auf die Universität Wien und fragt uns, ob sie überhaupt der Rede wert ist? Zahlt es sich noch aus ein so unscheinbares und ästhetisch schlicht langweiliges Ding zu thematisieren oder sich darüber zu empören? Will sich eigentlich noch wer mit solchen Geschichtsverdrehungen auseinandersetzen? Haben wir nicht alle diese “FPÖ Wahrheiten” einfach satt? Uns scheint es angemessen dieses Denkmal in diesem Text abzubauen, die ungewöhnliche Relevanz dieses Zeitdokumentes sogar hervorzuheben, eine neue Wahrnehmung zu wagen und nach einer neuen Funktion für diese Skulptur zu suchen.
Wir leben in einer Zeit der Einzelfälle, des Gesagten aber anders Gemeinten, des falsch Interpretierten und des im Mund Umgedrehten. Der Vorteil von Steinen gegenüber Worten aber liegt darin, dass sie sich nicht einfach umdrehen lassen und wesentlich länger an Ort und Stelle bleiben. Die großen, kubistisch aneinander und übereinander gelegten Steinblöcke erinnern formal an die ersten, von den Opferverbänden aufgestellten Gedenkstätten der Nachkriegszeit wie beispielsweise das Mahnmal für die Opfer des Gestapo-Terrors am Moritzplatz. Auch Strache sprach davon, dass nun endlich jener “Opfergruppe” würdig gedacht werde, die bis dato noch kein Denkmal hatte. Dieses Denkmal ist das Ergebnis einer Kontinuität der bewussten Geschichtsverdrehung, der Kreierung von Opfermythen und der Schmähung jener Opfergruppen, die immer noch keinen Platz in der österreichischen Erinnerungskultur gefunden haben. So gibt es in Wien kein Mahnmal für die Opfer der Roma und Sinti und auch die Umsetzung eines Denkmals für die Opfer der Homosexuellen-Verfolgung in der NS-Zeit verzögert sich weiter. “Niemals vergessen” ist in unseren digitalen Zeiten kurzlebig und deswegen ist eine steinerne Manifestation der freiheitlichen Geschichtsrevision von symbolischem Wert für das immer wiederkehrende schwarze Loch des blauen Geschichtsverständnisses.
Diese Skulptur offenbart uns banale Details, die in einem größeren Ganzen gedacht werden müssen. Beispielsweise der Schriftzug der die Skulptur schmückt: „Österreichische Trümmerfrauen 1943 – 1954“. Zwei Jahreszahlen die historisch nicht begründet werden. 1943, eine Bezugnahme auf den ersten Luftangriff auf den Reichsgau Groß-Wien? Eine Möglichkeit auch der vor-republikanischen Zeit, dem Großdeutschen Reich einen Platz zum Gedenken zu geben? Ist es ein Zufall, dass ein Platz für das Denkmal an einem Ort gefunden wurde, an dem ebenfalls der sogenannten Türkenbelagerung (sic!) gedacht wird? In seinen vielen verschiedenen Bausteinen stellt das Denkmal der Trümmerfrauen einen Mikrokosmos rechter Kulturpolitik dar: alteingesessene Klischees des pseudo subversiven, stets nostalgischen, in NS-Ursprüngen wandernden, falsche Ideale konstruierenden Aufrechterhalten von Opfermythen und Frauenfeindlichkeit. Nur ist es hier kein Liederbuch, das wieder im Keller verschwindet, kein Bericht der Beschönigung, kein salopp gesagter Satz, sondern ihre steinerne Konzentration.
Susanna, die Badende, ist möglicherweise das konkreteste Relikt der zweiten Schwarz-Blauen Regierung, das auch noch in zwanzig Jahren zu finden sein wird. Ein Denkmal den Trümmerfrauen und gleichzeitig ein Mahnmal des Irrsinns rechter Kunstpolitik: Ein Zeitzeugnis, ein museales Objekt im öffentlichen Raum, das jetzt, nach dem Ende dieser Regierungsperiode, nach Kontextualisierung schreit.
Wie reagiert man also auf ein Objekt, das einerseits eine problematisch Geschichte erzählen will und gleichzeitig so symbolisch für das Armutszeugnis und Moloch des Geschichtsverständnis von Teilen der ehemaligen Regierung steht? Indem man es thematisiert und dann kontextualisiert? Es genauso behandelt wie andere faschistische Überbleibsel im öffentlichen Raum? Künstlerisch interveniert? Durch eine zusätzliche erklärende Tafel ergänzt und das Denkmal zu einem Mahnmal umwandelt? Theoretisch, rein theoretisch, könnten wir gemeinsam Ideen zur Umgestaltung unter info@contemporarymatters.org sammeln und den die Skulptur doch eigentlich einengenden öffentlichen Raum als solchen zu nutzen?
I.V für Contemporary Matters,
Martina Genetti und Vincent Weisl
Epilog:
Viele der hier gesammelten Überlegungen und Argumente wurden im Rahmen zweier Lesekreise zu den Themen „Die performative Rechte“ und „Public Space and Monuments“ kollektiv erarbeitet. In gemeinsamen Diskussionen wurden etwa politische Aktionismen, der sogenannten “Neuen” Rechten und deren aus den 1968er stammende Genealogie diskutiert, oder Fragen nach politischer Manifestation im öffentlichen Raum und dem Umgang mit problematischen Denkmälern gestellt. Dieser Artikel entstand durch den stattgefundenen Austausch mit vielen Studierenden in Gruppendiskussionen, in Lesekreisen und einem kritischen Spaziergang mit Andreas Peham vom DÖW.