RCAA Karlsplatz: Wessen Platz?

Contemporary Matters übernimmt von 1.12.-15.12.2020 den RCAA Showroom Karlsplatz mit dem Projekt “Wessen Platz?”, einer retrofuturistischen Geschichte des Karlsplatzes.

Installationsansicht © Contemporary Matters

Installationsansicht © Contemporary Matters

Konzept

Der Wiener Karlsplatz hat sich in den letzten hundert Jahren stetig verändert. Nach Abriss der Befestigungsanlagen entstanden am Karlsplatz im 19. Jahrhundert bürgerliche Kultureinrichtungen, wie das Künstlerhaus und der Musikverein. Später kam die Secession hinzu, der Wienfluss wurde unterirdisch weitergeleitet, Otto Wagner baute die Stadtbahn. Nach dem Zweiten Weltkrieg diente der Karlsplatz als Ort illegalen Handels, in den 1980er bis 2000er Jahren traf sich hier die Wiener Drogenszene.

Heute haben Kulturinstitutionen, “experimentelle Kunstprojekte” und aufwendige Renovierungsarbeiten den Karlsplatz von seiner sozialen Geschichte des 20. Jahrhunderts befreit. Die Spannung zwischen bürgerlich-schicker Kultursphäre und prekären Lebensumständen, die am Karlsplatz aufeinander trafen, wurden eingeebnet. Anstatt eine Diskussion um die Folgen von Gentrifizierung und bürgerlicher Stadtpolitik zu führen, wird die Verdrängung von Menschen aus ihrem urbanen Lebensmittelpunkt noch gefeiert. Über die Karlsplatzpassage wird nun getitelt: "Sie ist modern, hell, freundlich und sicher geworden” – ohne zu fragen, für wen sie freundlich geworden ist und für wen sie Sicherheit verspricht. Genauso schrieb der ORF: "Durch die Umgestaltung verschwanden die dunklen Ecken und Nischen. Auch die Drogenszene konnte verlagert werden." Während die Verlagerung der Drogenszene (makabererweise) hier als Erfolg dargestellt wird, fehlt die Einsicht darin, dass es sich nur um eine Verlagerung handelt. Anstatt durch soziale Politik die Ursachen für Missstände zu beheben, werden sie verschoben und an den Stadtrand verdrängt. Die Drogenszene ist nicht verschwunden, nur weil sie nun nicht mehr am Karlsplatz sichtbar ist. Eine Auseinandersetzung mit den Folgen der Umgestaltung, wie den massiven Eingriff in die Lebensumstände der nun ausgeschlossenen Gruppe von Menschen, findet vor Ort nicht statt. Zur Unsichtbarkeit und Verdrängung des Prekariats am Karlsplatz haben die Renovierung des Künstlerhauses und der noch anstehende Umbau des Wien Museums maßgeblich beigetragen — Welche Rolle spielen Kulturinstitutionen und die Förderung von öffentlicher Kunst bei der Verdrängung von Menschen? Inwiefern werden Ausstellungshäuser als stadtpolitisches Mittel der geplanten Gentrifizierung und sozialen Verdrängung eingesetzt? Und welche Rolle erfüllen wir, eine Gruppe die sich als Plattform für eine kritische Auseinandersetzung mit Kunst versteht, durch unseren Beitrag für den Showroom innerhalb dieses Kontextes? 

Wer ist dieser Karl und warum besitzt er einen Platz? Wer ist dieser Karl und was macht er mit einem ganzen Platz? Wessen Platz? Ausgehend von diesen Fragen möchte Contemporary Matters den Showroom am Karlsplatz nutzen, um Fragen nach Verdrängung, Nutzung und Eigentum zu stellen. Als studentisches Kollektiv, das aus dem akademischen Feld kommt, verstehen wir sprachliche Vermittlung als unser Medium, um Fragen nach Zugehörigkeit, Verdrängung und Besitz zu stellen. 

Durch unsere Intervention untersuchen wir, wie die aktuelle Wiedergabe der Entwicklungsgeschichte des Ortes unsere Wahrnehmung prägt, indem wir parallel dazu eine alternative Erzählung präsentieren. Wir sind der festen Überzeugung, dass Geschichte immer aus der Gegenwart geschrieben wird und somit stets eine Reflexion zeitgenössischer Umstände ist. Analog gilt dasselbe für Zukunftsszenarien: wie wir uns jetzt die Zukunft vorstellen, lässt uns die Gegenwart kritisieren und darüber nachdenken, was wir in Zukunft gerne anders hätten. 

Contemporary Matters